Puerto Quetzal: Kaffee zwischen Vulkankegeln
Guatemala empfängt uns mit einem relativ unromantischen Industriehafen, aber mit einer spektakulären Aussicht mit Blick auf die Vulkane Agua, Acatenango, und Fuego. Inmitten der geschäftigen Arbeitswelt des Hafens in Puerto Quetzal, liegt ein kleines, schön angelegtes Kreuzfahrtterminal mit Palmen und kleinen Verkaufsständen. Für Verweilen ist wieder wenig Zeit, um 8:30 Uhr ist bereits Treffpunkt am Bus. Hier wartet schon eine vertraute Stimme auf uns. Maxi, AIDA Crew Mitglied und leidenschaftlicher Gastgeber, begleitet unsere Tour. Die Freude ist groß, nicht nur wegen der guten Organisation, sondern auch, weil damit die Übersetzung für Mama gesichert ist. Man hat auf der Reise wieder gemerkt, wie wichtig Sprache ist, um wirklich teilzuhaben. Schon kurz nach der Abfahrt vom Hafen verändert sich die Landschaft. Die Straße führt weg vom Meer und mit jedem Kilometer kommen die Vulkane näher. Besonders präsent ist der Volcán de Fuego. Nur rund 60 Kilometer von Guatemala-Stadt entfernt, ist er einer der aktivsten Vulkane Mittelamerikas. Gemeinsam mit dem Acatenango bildet er einen Doppelvulkan, sind aber in ihrem Wesen völlig unterschiedlich. Während der Acatenango seit Jahrzehnten ruht, ist der Fuego ständig aktiv.
Der Fuego ist ein relativ junger Stratovulkan, entstanden durch die Subduktion der Pazifischen Platte unter die Karibische Platte. Unser Guide Karla zeigt nach vorn. Eine Aschewolke steigt aus dem Gipfel des Fuego auf. Karla beruhigt uns, diesmal ist es keine Explosion, sondern nur dieses leise, stetige Ausstoßen von Material, das den Fuego so typisch macht. Strombolianische Aktivität nennt man das. Kleine Eruptionen, die sich immer wieder steigern können. Heute haben wir das besondere Glück den Fuego in seiner vollen Schönheit zu sehen, denn der Vulkan verstecke sich neun Monate im Jahr hinter Wolken. Dass wir ihn heute so klar sehen, noch dazu aktiv, ist alles andere als selbstverständlich. Entlang der Straße fallen uns die riesigen Lavatäler auf. Breite Schneisen aus grauem, erstarrtem Gestein, die aussehen wie ausgetrocknete Flussbetten. Sie sind die Zeugnisse früherer Ausbrüche, als Lava sich heiß ins Tal gegossen hat. Karla betont erneut, dass wir heute nicht zu befürchten haben, aber der Fuego bleibt unberechenbar. In den vergangenen 500 Jahren ist er mehr als 60 Mal ausgebrochen. Besonders die Eruption von 2018 ist vielen Menschen rund um Antigua noch präsent. Ströme mit Gas, Asche und Gestein sowie Aschewolken bis in 17 Kilometer Höhe brachten mehr als 300 Menschen den Tod. Man sprach sogar von einem Pompeji 2.0. Zwar gilt der Fuego als vergleichsweise gut überwacht, aber ein Frühwarnsystem wie bei Tsunamis gibt es hier nicht. Sicherheit bleibt dadurch immer relativ.
Gleich zu Beginn eine kleine Beichte. Ich bin hoffnungslos kaffeeverliebt. Ein bisschen süchtig, wenn ich ehrlich bin. Ein Tag ohne Kaffee ist keine Option, nicht einmal als Gedanke. Und natürlich freue ich mich über besonders guten Kaffee. Zum Beispiel einen aus Guatemala, da er dann meist kräftig und ein bisschen schokoladig ist. Also habe ich nicht lange überlegt, wohin die Reise in Guatemala gehten soll. Natürlich auf eine richtige Kaffeeplantage. Die Finca Filadelfia liegt nur wenige Minuten außerhalb der Stadt Antigua, die wir im Anschluss ebenfalls besuchen wollen. Die Plantage ist mit 700 Hektar eher von der Kategorie mittelgroß und eine von rund 120.000 im Land. Das erscheint zwar erstmal viel, aber Guatemala produziert gerade einmal zwei Prozent des weltweiten Kaffees.
Auf unserer Tour unterstützt uns Marco, ein Guide der Finca Filadelfia. Er erklärt uns sehr detailiert was wir über den Kaffee, der hier angebaut wird, wissen sollten. Das wichtigste vorab: der Kaffee ist 100 % Arabica. Eine Sorte, die sensibel ist, langsam wächst und genau deshalb so komplex schmeckt. Angebaut wird Arabica hier erst ab etwa 700 Metern Höhe. Je höher die Lage, desto kühler die Nächte, desto langsamer reifen die Kaffeekirschen. Und je mehr Zeit eine Pflanze bekommt, desto vollmundiger und vielschichtiger wird ihr Geschmack. Fünf Jahre braucht eine Kaffeepflanze, bis sie erstmals Kirschen trägt. Und selbst dann liefert ein Busch am Ende nur etwa 12 Kilogramm Kirschen, aus denen gerade einmal 6 Kilogramm Rohbohnen entstehen. Geerntet wird nur einmal im Jahr, über etwa vier Jahre hinweg. Die großen Bäume, die überall zwischen den Kaffeepflanzen stehen, sind kein Zufall. Sie sorgen für das richtige Gleichgewicht aus Sonne und Schatten. Gleichzeitig müssen sie sich mit den Kaffeepflanzen „verstehen“, also es darf keine Konkurrenz um Nährstoffe geben oder Schädlinge hervorrufen. Alles ist auf Balance ausgelegt. Auch das Regenwasser wird in natürlichen Reservoirs gesammelt und alte Blätter bleiben als Mulchschicht auf dem Boden damit die Feuchtigkeit langsam wieder abgegeben werden kann.
Und dann ist da auch wieder unser Vulkan. Der Fuego ist nämlich nicht nur Kulisse, sondern sogar Teil des Geschmacks. Der Wind trägt seine Asche bis auf die Plantagen und bringt auf diese Weise Mineralien in den Boden. Die feinen Noten entstehen quasi nicht durch die Röstung allein, sondern immer auch gezielt durch die Umgebung. Deshalb schmeckt Kaffee nie exakt gleich. Geerntet wird ausschließlich von Hand. An den Kaffeepflanzen hängen zeitgleich grüne, gelbe und rote Kirschen. Erst wenn die Frucht dunkelrot ist, wird sie gepflückt. Unreife Früchte würden nur den Geschmack zuzu verändern. Manchmal werden die Pflanzen auch maschinell geschüttelt und alle Reifestufen fallen dabei gemeinsam ab. Diese Bohnenmischung endet später als Instantkaffee.
Nach der Ernte fallen alle Kirschen zuerst ins Wasserbad. Was oben schwimmt, ist Ausschuss. Die schweren, dichten Kirschen sinken, sie sind die besten. Erst danach wird die Schale entfernt, die Bohnen gewaschen. Die leicht schleimige Schicht, die sie umgibt, ist später ein wichtiger Geschmacksträger beim Rösten. Getrocknet wird sehr sorgfältig von Hand. 6 bis 8 Tage wird der Kaffee an der Luft getrocknet und alle 20 Minuten von Hand gewendet. Schlechtere Qualitäten landen in Trockentrommeln. Danach folgen weitere Sortierungen, insgesamt fünf Stationen, bei denen immer wieder nach Qualität getrennt wird. Aus den Schalen der Kirschen wird übrigens nichts verschwendet: Sie werden zu Kompost oder Marmelade verarbeitet.
Die Tour endet in der Rösterei. Marco erklärt uns, dass Kaffee meist erst im Zielland geröstet wird, damit jede Marke ihren eigenen Geschmackkstil entwickeln und halten kann. Dennoch wird auch auf der Finca selbst geröstet und zwar mit großer Sorgfalt. Denn Rösten ist ein verantwortungsvoller Moment im gesamten Prozess. Wird der Kaffee nur einen Augenblick zu lang geröstet und verbrennt dabei, sind fünf Jahre Arbeit umsonst gewesen. Verrückt, man bekommt zu seiner kleinen Tasse Kaffee wirklich eine ganz neue Beziehung. Ob allen, die heute irgendwo auf der Welt einen Kaffee trinken, dieser lange Prozess bewusst ist? Immerhin werden täglich rund zwei Milliarden Tassen konsumiert.
Nach dem sehr köstlichen Mittagessen auf der Plantage gehts mit kleinen Shuttlebussen ins historische Antigua, ein absolutes Must-do in Guatemala. Gegründet im 16. Jahrhundert von den spanischen Eroberern, war Antigua über lange Zeit die Hauptstadt Guatemalas und sogar Verwaltungssitz für große Teile Zentralamerikas. Kirchen, Klöster, Verwaltungsgebäude und prachtvolle Wohnhäuser zeugen bis heute davon. Doch das vielleicht Beeindruckendste an Antigua ist ihre Unverwüstlichkeit. Umgeben von den drei Vulkanen, liegt die Stadt in einem natürlichen Kessel. Das ist wunderschön anzusehen, ist aber natürlich auch sehr gefährlich. Immer wieder wurde die Stadt von Erdbeben, Überschwemmungen und Vulkanausbrüchen heimgesucht. Die verheerenden Erdbeben von 1773 und 1774 führten schließlich dazu, dass die Hauptstadt nach Guatemala-Stadt verlegt wurde. Antigua wurde aufgegeben. Ein Glück für die Stadt, denn fast ein Jahrhundert lang blieb die Stadt dadurch weitgehend unberührt. Als sie im 19. Jahrhundert langsam wieder besiedelt wurde, waren es vor allem ärmere Bevölkerungsschichten, die hier lebten. Dadurch wurde nur sehr wenig neu gebaut und viele Häuser blieben so erhalten. Erst ab den 1960er-Jahren begann man, Antigua behutsam zu restaurieren. Seit 1979 gehört die Stadt zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Für uns präsentiert sich Antigua als ein lebendiges Mosaik aus kolonialen Fassaden, Ruinen, kleinen Parks, Plätzen und Märkten. Zentrum ist der Parque Central mit dem Palacio de los Capitanes Generales und der Catedral de Santiago. Besonders hier tummeln sich besonders viele Straßenverkäuferinnen und -verkäufer. Die Menschen sprechen uns sehr direkt an, bieten Textilien, Schmuck oder kleine Souvenirs an. Meist haben die Frauen neben der Ware auf dem Kopf, auch noch ihre kleinen Kinder auf dem Rücken. Hier finde ich sie auch wieder: die sogenannten Sorgenpüppchen. Sie stammen aus einer alten Maya-Tradition und wurden besonders während und nach dem langen Bürgerkrieg in Guatemala zu einem stillen Symbol. Man erzählt ihnen abends seine Sorgen, legt sie unter das Kopfkissen und überlässt ihnen über Nacht die Last der Gedanken. Am Morgen sollen die Sorgen verschwunden sein. In Berlin hatte ich sie einmal in einem Eine-Welt-Laden erstanden, mir war aber nicht mehr bewßt, das sie aus Guatemla stammten. Besonders schön empfinde ich die farbfrohen Webstoffe der Frauen. Karla erklärt uns, dass diese ein integraler Bestandteil der guatemaltekischen Kultur sind und sie selbst drei solcher Kleider besitzt. Die teilweise sehr kunstvoll bestickten Kleider und Röcke werden hier nicht für Touristen getragen, sondern sind selbstverständlicher Teil des Alltags. Die Menschen bewegen sich darin ganz selbstverständlich durch die Stadt. Tradition hat hier ihren Platz in der Gegenwart gefunden und das mag ich. Mindestens genauso reizvoll sind aber auch die Straßen mit dem Kopfsteinpflaster, die niedrige bunten Häuserfronten, hinter denen sich oft kleine Innenhöfe und grüne Oasen verbergen. Cafés, Bars, Crêperien, Weinstuben. Überall blicken wir neugierig hinein. Es gibt so viele interessante Flecken, dass man ständig das Gefühl hat, woanders wäre es vielleicht noch schöner, noch entspannter, noch ein bisschen leckerer. Wir sind wirklich ein bisschen schockverliebt in diese kleine Stadt und unendlich traurig, dass wir wieder nur so einen kurzen Moment bleiben können.