Morro Bay: Wunder der Tierwelt

Am Vorabend ging es noch von Los Angeles über den Highway 1 nach Morro Bay. Von der legendär spektakulären Landschaft rund um die berühmte Küstenstraße sah man um die späte Uhrzeit leider nicht mehr so viel, aber dazu bekommen wir in den nächsten paar Tagen sicherlich noch die Gelegenheit. Morro Bay fühlt sich sofort ganz anders an als das geschniegelte Santa Barbara. Die Stadt präsentiert sich uns als klassischer amerikanischer Küstenort mit sehr viel Retro-Charme, hübschen kleinen Restaurants, Souvenirläden und diesem Gefühl, dass hier jeder mindestens ein Surfbrett besitzt. Dominiert wird der Ort von Morro Rock, einem 23 Millionen Jahre alten, massiven Vulkanfelsen, der mitten in der Bucht steht und mich an die urarlte Morla aus der unendlichen Geschichte erinnert.

Unser Hotel liegt direkt hinter der Waterfront, mit großen Fenstern zum Hafen. Abendruhe gibt es hier erstmal nicht, denn laute Geräusche vom Wasser erreichen unser Zimmer. Es klingt wie ein tiefes, kehliges Bellen eines schlecht gelaunten Hundes. “Die Seelöwen sind knautschig” sagt Reinier. “Wir gehen sie morgen früh besuchen. Und die Otterchen.” Ich glaube, mein Freund ist mindestens so niedlich wie diese kleinen Fellknäule. Demnach sind wir am nächsten Morgen recht früh Richtung Hafen unterwegs. Da alle Hotels über Kaffeeautomaten auf dem Zimmer verfügen (etwas, das man sich gerne von den Amerikanern abschauen kann) geht´s schon gut gelaunt Richtung Waterfront. Die Stimmung ist herrlich. Es ist ganz klar und die Sonne tastet sich bereits langsam an die Spitze von Morro Rock heran. Dann sehen wir sie. Über 10 Seeotter samt Nachwuchs direkt vor uns im Hafenbecken. Fast alle treiben auf dem Rücken, dösen, oder drehen sich gemächlich im Kreis. Ich bin sofort verloren. Diese Tiere sind einfach unfassbar niedlich. Morro Bay ist einer der wichtigsten Rückzugsorte für südliche Seeotter an der kalifornischen Küste. Rund vierzig Tiere leben hier dauerhaft, vor allem Weibchen mit ihren Jungen. Die geschützte Lagune und die Kelpwälder sind ideal. Otter sehen gemütlich aus, sind es aber überhaupt nicht. Sie haben kein Fettpolster, nur extrem dichtes Fell, und müssen permanent essen, um warm zu bleiben. Bis zur Hälfte des Tages verbringen sie mit Nahrungssuche. Muscheln, Krebse, Seeigel. Letztere sind besonders wichtig, denn ohne Otter würden sie die Kelpwälder radikal kurz halten. Otter sind also so etwas wie sehr flauschige Landschaftspfleger. Dass wir sie hier überhaupt sehen können, ist kein Zufall, sondern ein kleines Wunder. Durch den Pelzhandel galten sie Anfang des 20. Jahrhunderts in Kalifornien als ausgestorben. Eine kleine Gruppe bei Big Sur überlebte. Die Otter von Morro Bay stammen direkt von diesen Tieren ab. Ach, das wird noch interessant, ob ich heute zur Weiterfahrt zu bewegen bin. Man kann diesen Tieren wirklich stundenlang zuschauen und dabei sämtliche Lebensentscheidungen überdenken.

Während ich weiter versuche ein immer noch niedlicheres Otterbild zu machen, sehen wir auch endlich die Seelöwenkolonie, die ziemlich selbstbewußt auf einem schwimmenden Plateau mitten in der Bucht vor sich herumbellt. Es scheint, als hätten sie dort ihren Stammplatz. Das muss kein schlechtes Leben sein in Morro Bay, hier gemeinsam mit diesen schönen Tieren und diesem phänomenalen Blick. Und Humor haben die Bewohner auch. Ich meine, wer stellt schon einen improvisierten Weihnachtsbaum aus beleuchteten Krabbenkäfigen auf das Pier? Find ich einfach großartig. Ich kaufe mir ein als Andenken eine grüne Cap mit einem kleinen Seeotter und Morro Bay, Cal. darauf. Möge es mich immer an diesen ganz zauberhaften Morgen in Kalifornien erinnern.

Bevor wir weiterziehen, müssen wir uns aber noch ein tägliches Ritual am Morro Rock ansehen. Am Fuße des Felsens haben bereits einige Leute ihre Neoprenanzüge übergeschmissen und holen ihre Bretter von den Pickups. Und dann heisst es: Auf das Board und rein in die Wellen! Hier scheint ein richtiger Surfer Spot zu sein. Einer von vielen an der kalifornischen Küste. Der Morro Rock formt hier beachtliche Strömungen und die Wellen brechen hier absolut zuverlässig. Wenn man hier weiß was man tut, hat man sicherlich eine Menge Spaß! Ich freue mich riesig, dass wir hier nochmal halten um uns das Spektakel der Wellenreiter anzusehen. Ich meine: Was ist schon cooler als Surfen? Kaum zu glauben, aber bereits 1885 wurde in den USA zum ersten Mal gesurft und seitdem ist der Sport, der ebenfalls ein richtiger Lifestyle ist, aus Kalifornien nicht mehr wegzudenken. Ich kann den Hype absolut verstehen. In den Wellen vor Kalifornien könnte man vermutlich sein ganzes Leben verbringen und wäre glücklich. Fun Fact: Die Wahrscheinlichkeit, hier von einem Hai angegriffen zu werden, liegt nur bei etwa eins zu einer Million.

Kurz vor Carmel, direkt am Highway 1, liegt ein Ort, an dem wir eigentlich nur kurz anhalten wollen. Ein kleiner Parkplatz, ein hölzerner Boardwalk und ein Schild mit ein paar Verhaltensregeln. Und dann stehen wir plötzlich mitten in einem Naturspektakel, von dem wir uns nicht so schnell wieder lösen können. Der Platz hier gilt als eine der eindrucksvollsten Wildtiererfahrungen in Kalifornien und ist sogar kostenlos.

Vor uns am Strand liegen dutzende Seeelefanten. Sie gehören zu den größten Robbenarten der Welt und zählen damit auch zu den größten Raubtieren überhaupt. Von Dezember bis Mai herrscht hier Hochbetrieb. Eigentlich leben Seeelefanten fast ausschließlich im offenen Ozean. Nur zum Fellwechsel sowie zur rund dreimonatigen Paarungs- und Wurfzeit kommen sie in großen Kolonien an die Küste. Hier gebären sie ihre Jungen, häuten sich und ruhen sich aus. Gefressen wird in dieser Zeit kaum, die nötige Energie stammt aus den angelegten Fettreserven. Zugegeben: Beim Anblick dieser entspannten Masse in der Sonne kommt kurz Neid auf. Im Ruhezustand wirken die riesigen Körper wie übereinandergeschobene Sandsäcke. Ab und zu überschütten sie sich mit warmem Sand oder heben schwerfällig den Kopf. Die Bullen liegen meist etwas abseits und erheben sich schneller, als man es ihnen zutraut, sobald ein Rivale zu nah kommt. Manche sind fast fünf Meter lang und bringen über 2.000 Kilo auf die Waage. Dann blähen sie ihre charakteristischen Rüsseln auf und lassen ihr tiefes, kehliges Gebrüll über den Strand hallen. Spätestens in diesem Moment versteht man, warum hier absoluter Abstand notwendig ist. Die kleineren Weibchen liegen näher beieinander, dösen in der Sonne oder kümmern sich um ihre Jungen. Besonders angenehm: Entlang des Trails sprechen uns freiwillige Helfer der „Friends of the Elephant Seal“ an. Sie beantworten Fragen, erklären Verhaltensweisen und teilen ihr Wissen mit spürbarer Begeisterung. Sie haben sogar ein kleines klappbares Fotoalbum dabei, in dem sie uns besonders beeindruckende Momente mit den Säugern zeigen. Wir folgen dem ausgewiesenen Boardwalk noch ein Stück weiter und freuen uns, dass die Tiere jetzt zunehmend aktiver werden. Sogar einen kurzen Rivalenkampf bekommen wir noch zu sehen, bevor wir, glücklich über dieses Erlebnis, wieder ins Auto steigen.

Der Highway 1 gilt besonders hier als eine der spektakulärsten Küstenstraßen der Welt. In dem Abschnitt in dem wir uns befinden, zeigt sich Big Sur allerdings aktuell von einer stillen und ungewohnt leeren Seite. Seit Januar 2023 ist ein Teil der Straße wegen massiver Erdrutschschäden gesperrt. Nach aktuellem Stand soll der Abschnitt frühestens Ende März 2026 wieder vollständig geöffnet werden. Vorausgesetzt, Wetter und Hanglage spielen mit. Der rund 44 Meilen lange Abschnitt von San Simeon bis zur Sperre bei Lucia ist weiterhin über den Highway 1 erreichbar und wirkt auf uns wie ein geografisches Ende der Welt. Leere Strände treffen auf schroffe Klippen. Kurz vor der eigentlichen Sperre des Highway 1 machen wir Halt am Ragged Point. Das kleine Inn liegt hoch über dem Pazifik, der Blick fällt senkrecht auf die Brandung weit unten. Wir setzen uns mit Kaffee und Kuchen nach draußen und genießen die vermutlich letzten kalifornischen Sonnenstrahlen. Ein kurzer Blick auf die Uhr holt uns zurück. Reinier und ich haben um 19 Uhr ein Date mit unserem Lieblingskünstler Father John Misty für ein Benefiz-Konzert. Bis nach Carmel sind es aber noch über zwei Stunden. Puh, dass wird etwas knapp. Also Motor los und ab geht die Panoramafahrt. Ein Beach-Stop soll es noch werden, trotz unserer Eile. Und es soll der für mich schönste Stop der Reise werden. Ein goldener Strand, menschenleer, vor ihm, schroffe, steile Klippen. Dazu die untergehende Sonne. Kneift mich mal jemand. Die Sperrung ist natürlich ärgerlich, gerade jetzt mit diesen perfekten Bedingungen. Der letzte Abschnitt führt nun steil hinauf in die Berge. In schwindelerregenden Serpentinen schrauben wir uns vom Pazifik weg. In meinem Autositz muss ich jetzt einmal richtig laut seufzen. Wow, der Abschied fällt mir richtig richtig schwer.

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Santa Barbara: Luxusort der Reichen & Schönen