Miami: Amerikas bunter Spielplatz

Morgens um sechs machen wir am größten Kreuzfahrthafen der Welt fest. Die prächtige Skyline von Miami vor uns, aber ausgerechnet heute stapeln sich einige Wolken davor. War das nicht der berühmte Sunshine State mit über 330 Sonnentagen im Jahr? Wir erwischen wohl einen der restlichen 35. Unsere Reiseleiterin Gundi, eine eingewanderte Floridian, steht frierend am Bus und erzählt, dass sich zwanzig Grad für sie anfühlen wie für uns Null. Ab zweiundzwanzig Grad schmeißt sie zuhause gerne mal den Kamin an. Dabei ist genau das der Grund, warum Miami und Florida für so viele Amerikaner das Winterquartier sind. Selbst im „kältesten“ Monat Dezember liegen die Temperaturen hier bei um die zwanzig bis vierundzwanzig Grad. Immerhin bekommen wir heute keinen Regen, aber milde Luft um die Nase gepustet. Im Bus setze ich mich ganz nach vorn. Keine gute Idee, wenn man beim Autobahnfahren stets mit schwachen Nerven glänzt. Der Verkehr ist dicht und schnell, die Brücken hügelig. Unser Busfahrer manövriert unser Tonnenfahrzeug so wendig über den Miami Highway, dass ich innerlich bei jeder Bremsung mitbremse und mich am Vordersitz festkralle. Gundi erzählt, dass es heute nach Thanksgiving sogar „entspannt“ sei. Wie bitte? Wie sieht denn das Gegenteil aus? Ich möchte es mir gar nicht ausmalen.

Unser erstes Ziel sind die Everglades. In meinem Kopf war das immer ein nebliges Sumpfgebiet mit Alligatoren, in dem man lieber nicht aussteigt. In Wirklichkeit ist das geschütze Gebiet ein langsamer Fluss. Er fließt so langsam, dass man die Bewegung mit bloßem Auge gar nicht wahrnimmt. Der Everglades National Park wurde in den siebziger Jahren eingerichtet, um diese Landschaft und ihre Bewohner zu schützen. Über sechstausend Quadratkilometer sind zwar mittlerweile geschützt, bleiben aber bedroht. Miami frisst eine Menge Wasser und Fläche, Kanäle, Deiche und Stauanlagen zerschneiden das System, dazu machen sich eingeschleppte Pflanzen und Tiere breit. Hier leben Alligatoren neben dem seltenen amerikanischen Krokodil, Schildkröten, Seekühe, Schlangen, Reiher, Ibisse, Störche und irgendwo da draußen auch der scheue Florida Panther. Wir steigen in die flachen Airboats, diese Propellerboote mit Flugzeugmotor, die in jedem Everglades-Film vorkommen. Dreißig Minuten Vollgas über ein endloses Meer aus Sägegras und Wasser. Die Indigenen nennen die Everglades „Pahayokee“, Fluss aus Gras. Die Airboots sind höllisch laut. Ich wundere mich ernsthaft, dass wir trotz dieses Dauerdröhnens übrhaupt Alligatoren zu sehen bekommen. Sie liegen still im Wasser manchmal schauen nur ein paar große Augen heraus. Im Anschluss folgt eine Alligatorenshow. Natürlich ist es faszinierend, die Tiere aus der Nähe zu sehen. Gleichzeitig fühle ich mich leicht unwohl, weil auch ich dieses System um die Faszination für Wildtiere mit dem Besuch unterstütze. Immerhin: Im November sind die Mücken gnädig. In der feuchten Hitze des Sommers, so Gundi, seien „helikoptergroße“ Moskitos unterwegs, die einem den Besuch gründlich verderben können.

Zurück in Miami geht es nach Little Havana. Was wichtig ist zu wissen: Miami ist nicht Miami Beach. Wenn viele von „Miami“ sprechen, meinen sie eigentlich South Beach mit dem dazugehörigen Glitzer, Strand und dem Ocean Drive. Unsere Route führt uns aber zunächst ins kubanische Herz der Stadt. Im heutigen Little Havanna haben sich seit den fünfziger Jahren mehr als hunderttausend Kubaner angesiedelt, die vor Castro geflüchtet sind. Der Ort war also nie als Touristenviertel gedacht, gehört heute aber dazu. Die SW 8th Street, die berühmte Calle Ocho, empfängt uns mit mittelamerikanischen Rhythmen, fruchtigen Gerüchen und lautem Stimmengewusel. Aus Bars dringt Musik, in kleinen Läden werden Zigarren per Hand gerollt und im Domino Park sitzen ältere Männer über Dominosteinen, als hätten sie den ganzen Tag nichts anderes vor. Wir probieren kubanischen Kaffee, der hervorragend schmeckt und so stark ist, dass er einem fast die Socken auszieht. Gundi empfiehlt uns ein Restaurant für ein kubanisches Sandwich, was wir zu gerne annehmen. Leider beißen wir erst am Bayside Anleger im Laufschritt in unser Sandwich. Wie immer bleibt bei unseren Ausflügen zu wenig Zeit, um sich an den Orten kurz zu sammeln und einfach die Welt zu beobachten.

Weiter geht es zum Bayside Marketplace. Ein Ort, an dem sich halbe Kreuzfahrtschiffe wieder treffen. Bars, Live-Musik, Essen, Souvenirs, ein Riesenrad für 20 Dollar pro Fahrt. Aber Bayside ist auch der perfekte Startpunkt, um Miami vom Wasser aus zu betrachten. Unsere Bootstour könnte ohne Übertreibung „The Homes of the Rich and Famous“ heißen. Wir fahren vorbei an Star Island, Fisher Island, Key Biscayne, Coconut Grove und Coral Gables. Inseln, auf denen die Villen der „Schönen und Reichen“ dicht an dicht stehen. Immer wieder fallen astronomische Summen. Jede Fassade erzählt von sehr viel Geld und von Geschmack, manchmal auch nur von ersterem. 35 Millionen für ein Haus ist hier das Normalste auf der Welt. Auf Fisher Island liegt das durchschnittliche Jahreseinkommen im Millionenbereich. Zutritt gibt es nur per Fähre oder Yacht und nur, wenn man eingeladen ist oder hier wohnt. Ein abgeschirmtes Paralleluniversum mit Golfplätzen, eigenen Stränden und Apartments, die so viel kosten wie ein ganzer Straßenzug anderswo. Star Island wirkt ähnlich surreal. Hier standen und stehen die Häuser von Filmstars, Sportlern und Musikern, deren Namen man kennt. Vom Wasser aus wirkt das teilweise absurd schön aber gleichzeitig völlig losgelöst von der Realität, in der die meisten Menschen leben. Besonders, wenn man weiß, dass genau diese Stadt eine der ersten sein wird, die dem steigenden Meeresspiegel ins Auge blicken muss. Hier bereits man sich jetzt schond darauf vor. Die Paläste werden hochgebockt über dem Meeresspiegel, es wird Hurrikan-festes Glas verbaut, es gibt Pumpen gegen das Wasser und drumherum ein wertvolles Ökosystem, das immer mehr aus dem Gleichgewicht gerät.

Unser letzter Stop ist vorgelagert auf einer Insel und über eine Brücke zu erreichen. Der Art Déco District liegt im Zentrum von South Beach. Zwischen 5th und 23rd Street türmen sich hunderte historische Gebäude. Pastellfarbene Fassaden, nautische Details wie Bullaugenfenster, florale Ornamente, Neon-Schriftzüge und die berühmten „eyebrows“ über den Fenstern, kleine Vorsprünge, die Schatten spenden und die Innenräume kühlen. Selbst bei grauem Himmel wirkt South Beach wie eine Filmkulisse.

Die Architekturbewegung entstand in den 1910er Jahren in Frankreich und wurde 1925 auf der Pariser Weltausstellung endgültig berühmt. Heute verbindet man die Häuser mit den Goldenen Zwanzigern und dem altem Hollywood. In den späten zwanziger Jahren wurde Miami Beach massiv umgebaut, in den dreißigern übernahm die Stadt den damals modernen Art Déco Stil fast vollständig. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfielen viele dieser Hotels und Wohnhäuser. In den siebziger Jahren stand ein großer Teil kurz vor dem Abriss. Dass wir heute überhaupt noch durch dieses Viertel laufen können, ist vor allem der Aktivistin Barbara Baer Capitman zu verdanken. Sie gründete die Miami Design Preservation League und kämpfte dafür, das Viertel unter Schutz zu stellen. 1979 wurde das Art Déco Viertel in das National Register of Historic Places aufgenommen.

Leider haben wir den Miami Beach nicht besuchen können, aber bei diesem grauen Himmel war das irgendwie zu verschmerzen. Umso verblüffender waren wir, als Miami uns kurz vor Auslaufen mit einem spektakulären Sonnenuntergang verabschiedete. Ach Miami, was mach ich mir dir? So richtig zu fassen habe ich dich nicht bekommen. Aber meine rosa Cap mit dem Aufdruck Miami Beach find ich trotzdem schick und es wird mich zukünftig an diesen großen amerikanischen Spielplatz erinnern. Nächster Halt: Mexiko!

Achtung: Alle Fotos der Art Déco Häuser stammen aus der Datenbank unsplash. Leider war es mir persönlich nicht möglich, die Häuser aus dem Busfenster angemessen einzufangen.

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