Mit Schirm, Charme und Kanone
Weymouth – UK
Der Tag beginnt, wie man sich England eben ausmalt: Regen, Wind und grauer Himmel. Ich liebs! An Bord kontrollieren britische Behörden unsere Pässe im Rekordtempo und im Hafen warten bereits die rot glänzenden Doppeldecker. Ach, diese Busse! Ich hatte völlig vergessen, wie sehr ich sie mag. Ich habe ein Jahr in Südengland gelebt und dieses Wiedersehen ist ein erstes persönliches Highlight. Seit dem Brexit war ich nicht mehr hier und jetzt fühlt es sich an, als würde jemand meine alte WG-Tür öffnen und lachend sagen: „Back already? Took you long enough!“
Die Isle of Portland ist ein Teil von Dorset. Die einzigartige, durch einen Damm verbundene Insel bildet den südlichsten Punkt der Jurassic Coast und ist über Chesil Beach mit dem Festland verbunden. Durch ihre abgeschiedene Lage, die kleinen Dörfer und die felsige Küstenlandschaft hat Portland eine ganz eigene Atmosphäre. Wir haben uns an diesem Tag für einen Besuch des kleinen Seestädtchens Weymouth entschieden.
Nach einer kurzen Fahrt bringt uns der Shuttle direkt zum alten Hafen, einem der historischsten und charaktervollsten Orte der Stadt. Bevor Weymouth berühmt wurde, war der Hafen das Herz des Ortes. Hier finden wir pastellfarbene Häuser, Pubs, alte Kutter und ziemlich freche Möwen. Wir steuern als erstes den berühmten sichelförmigen Strand an, den schon König George III. liebte. Ab 1789 ließ er sich hier in der Brandung mit einer Bademaschine therapieren und machte den Ort praktisch über Nacht berühmt. Die georgianischen Stadthäuser entlang der Esplanade versetzen uns sofort in diese Zeit zurück.
Die Greenhill Gardens mit den kleinen bunten Strandhäuschen geben dem englischen Grau an diesem Tag doch noch ein paar Farbtupfer. Danach geht’s durch die hübschen Einkaufsstraßen zurück Richtung Hafen. Zwischen Charity Shops, Kruschelläden und Pubs taucht er dann endlich auf: Marks & Spencer. Auch wenn mein geliebter Schoko-Minz-Riegel, den ich mir schon massenhaft aus England mitbringen ließ, nicht vorrätig ist, trösten mich die zauberhaften Weihnachtskeksdosen und ein neuer Kuschelpulli. Leider bin ich käuflich, was soll man machen. Einen besonders berührenden Moment abseits des Mini-Shoppingsrauschs, erfahren wir in der St John’s Church. Hinter der offenen Kirchentür erwartete uns etwas Herzerwärmendes. Eine kleine eingebaute Küche, dampfende Tassen, herzliche und lachende Menschen, die uns ohne Zögern an ihre Tische beten. Wir sind sehr berührt von diesem ungezwungenen Kontakt zur Weymouth Community. Genau so sollte immer Kirche sein: ein warmes Wohnzimmer für alle.
Zurück am alten Hafen gibt es natürlich traditionell Fisch & Chips, die wir erfolgreich gegen eine Bande Möwen verteidigen. Der Abschied aus Weymouth ist dann noch erstaunlich filmreif, nur James Bond hat gefehlt. Drei Sängerinnen im Fünfzigerlook performen Evergreens, dazu Kanonenschüsse der Royal Navy und ordentlich Gehorne unseres Kapitäns. Am Morgen hatten uns noch zwei Schlepper in den Hafen gezogen, jetzt gleiten wir mühelos hinaus auf See. Eigentlich soll es von hier aus auf die klassische Transatlantikroute gehen, aber aufgrund eines massiven Tiefdruckgebiets über dem Atlantik, ändert unser Kapitän die Route. Jetzt fahren wir durch die Irische See und reduzieren die Wellenskala von 10 auf 6 Meter. Mir schaudert´s. Ich schätze, eine Atlantik-Überfahrt im Winter ist nichts für Warmduscher.