Halifax: Maritimes Erbe am Atlantik

Ein Tag in Nova Scotia

Nach siebenTagen Atlantik mit starken Seegang, fühlt sich festes Land unter den Füßen richtig richtig gut an. Es ist unglaublich. Wir haben tatsächlich den Atlantik mit dem Schiff überquert. Und jetzt stehen wir am Pier in Halifax, unsere Bordkarte in der Hand und steigen in genau jene Busse, vor denen in jedem Reiseführer immer gewarnt wird. Jetzt sind wir selbst Teil der Kreuzfahrt-Kolonne. Naja, was soll’s. Auf nach Peggy’s Cove. Mit einer nach Kanada ausgewanderten deutschen Reisebegleitung rollen wir bei Königswetter hinaus aus Halifax. Wer es vergessen hat: Kanada ist das zweitgrößte Land der Welt. Für eine Durchfahrt mit dem Auto benötigt man mindestens drei Tage und lässt dabei 6 Zeitzonen hinter sich. Die kanadische Provinz Nova Scotia ist ein geologischer Flickenteppich aus Granit und zu 85 Prozent bewaldet. Eine, besonders im Indian Summer, zauberhafte Region, in der man nirgens weiter als 60 Kilometer vom Meer entfernt ist. Der erste Eindruck von Kanada ist demnach überwältigend: überall verstreute Holzhäuser, die idyllisch an vielen Seen mit entzückenden Inseln liegen. Dieses Idyll hat mir schon die ein oder andere amerikanische Netflix-Serie verkauft und ja, es stimmt. Es ist Liebe auf den ersten Blick und ich sehe mich schon in Gummisteifeln und Karohemd mit Kaffee und Blueberry Pie auf einer Holzterasse an der Blind Bay schaukeln. Bauen wären hier wohl sehr einfach, wie uns die sympathische Auswanderin versichert. Ein Grundstück lässt sich ohne Probleme erwerben und aufgrund des Granits wird nichts unterirdisch verlegt. Strom kommt ausschließlich über Holzpfähle, auch Glasfaser wird einfach auf die Leitungen gelegt. Schnell ein Brunnen gebohrt, Kleinkläranlage dazu und fertig ist der kanadische Aussiedlertraum. Und auch der nächsten Hurrikan wäre aufgrund der Hilfsbereitschaft untereinander nicht wirklich ein Problem. Hier unterstützt man sich. Ich klebe an der Scheibe und denke mir: Oh, wie schön ist Kanada!

Peggy’s Cove selbst ist ein seltsames Paradox: auf der einen Seite einsam und auf der anderen hochgradig touristisch. Im Sommer kommen über 70 Busse täglich in das kleine pitoreske Fischerdorf. Jetzt, am Ende der Saison, ist unser Dampfer das letzte Schiff und dann haben die Hummer hoffentlich erstmal wieder etwas Ruhe. Peggy’s Cove wurde 1811 von sechs deutschen Familien gegründet; heute leben hier nur noch 46 Menschen dauerhaft. Auch wenn das Dorf heute fast ausschließlich vom Tourismus lebt, hat es nichts von seinem Charme als Fischerdorf verloren. Der Fischfang ist allerdings streng reguliert, Fischlizenzen sind teuer, aber 30 % des gesamten kanadischen Fischexports stammen von hier. Die kleine Hafenbucht ist voll mit Fischerbooten und bunten Hummerkäfigen. Hummer, Kabeljau, Lachs und Hering werden hier aus dem Wasser geholt und in Fischimbissen mit lustigen Namen wie „Holy Mackerel“ und “Tom´s Lobster Shack” angeboten. Peggy’s Cove gilt als einer der meist fotografierten Ort in Kanada, vor allem wegen des mittlerweile außer Funktion gesetzten Leuchtturms Peggy’s Point. Die kommenden Minuten rennen wir einigen Postkartenmotiven hinterher. Aber die Felsformationen aus Granit sind auch wirklich beeindruckend und viele der großen Findlinge in der Umgebung stammen noch aus der Eiszeit. Von der starken Brandung wurden die Felsen im Laufe der Zeit stark abgerundet und gaben Peggy´s Cove diesen ikonischen Look.

Die Region, durch die wir fahren, ist das traditionelle Land der Mi’kmaq, eines der ältesten Völker an der nordatlantischen Küste. Ihr historisches Gebiet umfasst ganz Nova Scotia und die benachbarten Provinzen. Sie lebten hier lange vor den europäischen Siedlern, handelten im Pelzhandel und bezeichneten sich selbst als Elnu – die Menschen. Die Kolonialzeit brachte Kriege, Epidemien und massive Landverluste, später kamen Internatsschulen hinzu, die ihre Sprache und Kultur unterdrücken sollten. Heute gibt es in Kanada 28 Mi’kmaq-Gemeinschaften, die ihre Traditionen und ihre Sprache wieder sichtbar machen. Zurück in Halifax fährt der Bus auf die Citadel. Für die Mi’kmaq ist der Hügel ein spiritueller Ort, lange bevor hier britische Militärarchitektur entstand. Heute gilt die sternförmige Festung als meistbesuchtes Museum Kanadas. Hierhin schwärmen Kanadier aus, wenn sie etwas über ihre Vorfahren erfahren möchte. Das Land ist jung und ältere Bauwerke, wie zb. Schlösser oder Burgen in Europa, gibt es hier natürlich nicht.

Von hier oben hat man einen phenomänalen Blick über den natürlichen und ganzjährig eisfreien Hafen von Halifax. Im Dezember 1917 wurde dieser zum Schauplatz der bis dahin größten menschengemachten Explosion. Die Mont Blanc, vollgeladen mit 3 Tonnen Sprengstoff, kollidierte mit einem anderen Schiff. Ein unvorstellbarer Feuersturm ging über die Stadt und brachte 1.600 Menschen den Tod. Boston schickte damals als erstes Hilfsgüter in die ausradierte Stadt. Die Haligonians, wie die Menschen in Halifax genannt werden, bedanken sich bis heute jedes Jahr mit einem Weihnachtsbaum, der von Nova Scotia nach Boston geschickt wird. Eine kleine, wertschäzende Tradition, die ich wirklich toll finde.

Überhaupt sind die Kanadier unglaublich freundlich und höflich. Selbst die Polizei entscheidet sich mehr fürs Belehren als fürs Bestrafen, wenn man doch mal zu schnell war. Die politische Verstimmung mit den USA ist durch die Trumpsche Regierung allerdings sehr gewachsen. Sobald Trumps Idee aufkommt, sich Kanada als 51. Bundesstaat einzuverleiben, ist für die Kanadier Schluss mit lustig. Dann ist „Elbows up“ das Motto. Das zeigt sich momentan auch darin, dass amerikanische Produkte aus vielen Supermarktregalen verschwunden sind.

Unser letzter Anlaufpunkt ist die Hafenpromenade. Auf die Hand gibts bei Tim Horton natürlich klassich Kaffee und Donuts. Lecker. Ein paar Schritte weiter wartet das Maritime Museum of the Atlantic, auf das wir sehr neugierig sind. Auf der oberen Etage liegen Holzornamente aus den Salons der Titanic, ein Liegestuhl vom Promenadendeck und weitere kleine Gegenstände von Bord. Als das Schiff 1912 südlich von Neufundland sank, war Halifax der nächste größere Hafen. Die Bergungsschiffe, die vier Tage brauchten um die Unglücksstelle zu erreichen, brachten viele Tote hierher, mehr als hundert liegen hier auf dem Fairview Lawn Cemetery begraben. Neben der Titanic widmet sich das Museum auch der Tragödie der SS Atlantic, die 1873 nahe Peggy’s Cove auflief. Stundenlang betrachten könnte man auch die vielen beeindruckenden Schiffsmodelle u.a. von der berühmten Mauretania, die 20 Jahre lang das Blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung hielt.

Am Ende unseres Tages laufen wir noch an der Statue von Sir Samuel Cunard vorbei. Der Mann, der hier aus Bronze aufs Wasser schaut, ist einer der bedeutendsten Unternehmer Kanads. 1787 in Halifax geboren, baute Cunard im 19. Jahrhundert ein Dampfschiffimperium auf und revolutionierte die transatlantische Verbindung zwischen Europa und Nordamerika. Er träumte von einer „ocean railway“ und setzte sie auch um. Seine Britannia vollzog 1840 den ersten regelmäßigen Liniendienst über den Atlantik um Post für die britische Krone über den Atlantik zu befördern. Später kamen noch "schwimmende Paläste" für den Personenverkehr hinzu. Seine Schiffe waren stets pünktlich, sicher und zuverlässig und wurde zur Lebensader zwischen zwei Kontinenten.

Bevor wir wieder an Bord gehen, landen wir noch bei Garrison Brewing, einer Brauerei neben dem berühmten Museum für Einwanderung am Pier 21. Hier gönnt man sich ein Brett mit lokalen Craft Beer Spezialitäten und genießt die quirlige Hafenatmosphäre. Unser Schiff bunkert derweil neue Vorräte, bevor es weiter Richtung Boston geht. Zwar fühlt es sich an, als hätten wir nur kurz hinter die Kulissen dieser Hafenstadt geschaut, aber Halifax hat sich definitv einen Platz in unserem Herzen geschnappt. Nächster Halt: Boston!

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Boston: America´s Walking City